Es ist ein kalter, grauer Tag. Ein Sonntag. Kaum jemand zu sehen und das liegt nicht an Corona, denn die Nässe und Kälte frisst sich in die Kleider. Seit einer Weile habe ich mir vorgenommen, Orte zu besuchen, die ich noch nicht kenne. Heute der Sigmund-Freud-Hof im 9. Bezirk, von der Donau trennt ihn nur die Spittelauer Lände.

Ich umrunde den Block einmal. Ein Loch haben die Abrissbirnen schon in Teile des Franz-Josefs-Bahnhofs gerissen, große Plakate verkünden luxuriöse Wohnungen, gegenüber der Sigmund-Freud-Hof. Dann stehe ich im Innenhof. Hier im Inneren verstecken sich die Balkone, die Wiens Wohnraum nicht nach außen, zur Straßenseite treten lassen und das Grün, das der Straßenraum nur wenig zeigt. Hier ist, selbst an so grauen, kalten Tagen Leben aus den Wohnungen zu hören. Mich beein­drucken die hoch aufragenden Bäume. Elf Stück erheben sich mit ihren ausladenden Kronen weit über die Dächer der Häuser, dazwischen ein paar Bänke, ein Klettergerüst, die orangenen Mistkübel und Wiese, die durch den Regen kaum mehr eine ist. Wie muss wohl die Stimmung hier sein, im Sommer unter dem hohen Dach, der weit auskragenden Bäume, wie das Licht, wie das Rauschen? In und um Wiener Gemeinde­bauten wachsen 67.000 Bäume. Diese alten Platanen im Sigmund-Freud-Hof sind wohl um das Entstehungsjahr zwischen 1924 bis 1931 gepflanzt worden. Was für ein Luxus, einen solch geschützten, grünen, ruhigen Raum vor dem Fenster zu haben. Was für ein schö­nes Konzept der Stadtplanung, in jedem Block eine kleine grüne Lunge zu haben. Allerdings entstammt die Freiraum-Planung vieler Wiener Gemeindebauten ihrer Baujahre. Nutzungen wie Teppichstangen sind überholt, verzierte Rutschen sind wegen mangelhafter Sicherheit ge­sperrt, zentral steht das erweiterte Mülltonnen-Sortiment und die Na­delbäume und -Hecken sind in ihrer Besetzung des Freiraumes überholt. Das Konzept des Grünraumentwicklung stammt aus den Zeiten der ersten Republik (1918-1938) und ist an die Bauformen der Gemeinde­bauten gekoppelt. In jener Zeit galt es, nur mehr 50% der Fläche zu bebauen. Der Rest blieb als Grünraum in Höfen der Nachbarschaft zugänglich.

Dieser Hof hier lässt sich queren. Durch einen Durchgang unterlaufe ich das Hofhaus und stehe in einem weiteren Hof. Weiter gelange ich zum Spittelauer Platz. Hier bilden die Bäume in ihrer Regelmäßigkeit eine Art Säulen­halle, die ebenfalls hoch über unseren Köpfen, den Raum zum Himmel abgrenzt. Schön wie diese alten Bäume den Platz rahmen. Ihn freihalten. Jetzt sitzen zwischen den dicken Stämmen die Boxen einer Corona-Teststation.

Es wird zu kalt. Ich entschließe mich einen Topfnstrudel bei Aida zu holen und nach hause zu radeln.​​​​​​​