Weil dem Journalismus die Inklusion, und inklusiven Projekten die Möglichkeit für Journalismus fehlt, hat die Initiative andererseits beides zusammengebracht „Ich bin stolz, dass ich alleine eine
Geschichte schreiben darf“, sagt Hanna als wir sie fragen, warum sie bei andererseits dabei ist. andererseits ist ein Online-Magazin für Inklusion im Journalismus und auf diese Weise einzigartig in Österreich.

Und Hanna ist wiederum als Journalistin mit intellektueller Behinderung einzigartig. Seit knapp einem Jahr wagen wir dieses Experiment nun schon. Mehr als 15 Menschen mit und ohne (intellektueller)
Behinderung versuchen sich so an Texten, Podcasts, oder Videobeiträgen. Dass es andererseits gibt ist dabei alles andere als selbstverständlich.
Hanna schreibt viel und gerne. Sie packt alles in eine Geschichte aber ihre Texte lesen sich nicht wie die meisten in Zeitungen, auf Blogs oder in Online-Medien.
Auch Hannas Perspektive ist keine, mit der die Mehrheitsgesellschaft vertraut ist, denn Hanna lebt mit einer Behinderung und wegen dieser Tatsache ist der Journalismus für sie nicht zugänglich.
Woher soll sie die Voraussetzungen dafür nehmen? Den Bachelor in Publizistik oder in Journalismus an der Fachhochschule?
Woher soll sie die Praktika-Erfahrung bekommen? Und wie soll sie in Redaktionen arbeiten, die sie ausschließen, indem sie sich auf die Arbeitsgeschwindigkeit und weise der Mehrheitsgesellschaft fokussieren?

Eine Idee von “normal”
In der Gesellschaft gibt es für Menschen wie Hanna meist nicht ausreichend Möglichkeiten, Teil von etwas zu sein:
Menschen mit Behinderungen besuchen immer noch zu großen Teilen Sonderschulen, sie werden in Werkstätten beschäftigt, in denen sie kein Geld verdienen. Nur selten haben sie die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie gehen meist von Anfang an einen Sonderweg, abseits unserer Gesellschaft, mit ihren Herausforderungen und Ungerechtigkeiten, aber auch mit ihren Freiheiten und Errungenschaften – das ist im Journalismus nicht anders. Doch in unserer Arbeit stoßen wir hier oft auf das gleiche Vorurteil: Diese Nachteile haben Menschen mit Behinderungen nicht, weil
sie “schwach” sind oder eine Behinderung traurig und ungesund macht. Das Problem sind die Einschränkungen unserer Gesellschaft. Strukturen, die Menschen aufgrund einer Behinderung ausschließen.
Das Problem sind wir, die Menschen ohne Behinderungen. Unsere Idee von “normal” verunmöglicht vielen Menschen mit Behinderung eine Normalität.
Obwohl etwa zwanzig Prozent der Menschen eine Behinderung haben, sehen wir sie kaum in den Medien, auf der Straße, in der Schule. Menschen mit Behinderungen, ihre Rechte und Interessen, werden von
unserem System unsichtbar gemacht. Wer nicht will, wer es nicht aktiv versucht, setzt sich nicht oder kaum mit Menschen mit Behinderungen auseinander, setzt sich selten für sie ein. Niemand ist gegen Inklusion, niemand hat etwas gegen Menschen mit Behinderung. Alle loben das Engagement für diese Gruppe. Aber niemand interessiert sich dafür.

andererseits ist eine Medieninitiative, die einen Raum schafft, in dem Menschen wie Hanna Journalist*innen sein können. Ein Raum, in dem sich jemand für ihre Perspektiven interessiert, ja sie sogar als unbedingt notwendig für eine diverse Gesellschaft hält. Die Journalist*innen müssen sie sich nicht an bestehende Strukturen einer Redaktion anpassen, um journalistisch arbeiten zu können. Vielmehr gibt andererseits dort Unterstützung, wo sie gebraucht wird, und bekräftigt Stärken, indem Vertrauen entgegengebracht wird, selbstständig arbeiten zu können. Hannas Erfinden von neuen
Worten wird hier nicht als Fehler gesehen und korrigiert, sondern eingebunden und als Stärke gesehen.

Gefühle sind politisch

Wir sind ein Projekt für Menschen mit Behinderung. Doch noch viel mehr sind wir ein Projekt für den Journalismus. Medien schreiben über fehlende Gleichberechtigung, selten aber erkennen sie die Un-
gerechtigkeit in der eigenen Branche, der eigenen Redaktion und Struktur. andererseits lebt den Grundsatz, dass sich nicht Menschen mit Behinderung an bestehende Strukturen anpassen müssen, um teilhaben zu können. Wir denken, dass Inklusion bedeutet, Strukturen so zu verändern, dass sie für möglichst alle zugänglich sind.
Das Gefühl zu haben, nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein, erleben Menschen mit Behinderung besonders oft.

Wir denken daher, dass ihre Gefühle politisch sind – etwas, das bei andererseits viel Platz einnimmt. In drei Formaten bearbeiten wir diesen Zusammenhang: Rechercheprojekte, die diverse Perspek-
tiven auf ein Thema vereinen, Ich-Texte, mit denen marginalisierte Menschen aus ihrer Lebensrealität erzählen und Diskussionsformate, die neue Fragen stelle Außerdem gibt es einen Newsletter und einen Podcast. Dabei ist uns klar: die Gefühle aller Menschen sind gleich viel wert. Doch die Erlebnisse, Emotionsfelder und Perspektiven von marginalisierten Gruppen haben weniger Platz in der öffentlichen Debatte. Doch genau sie zeigen am besten, wo unsere Gesellschaft noch an sich arbeiten muss, um fair und gerecht zu sein. Darum sollte die Medienlandschaft ihre Relevanz anerkennen.

Wir Katharina Kropshofer, Clara Porak und Katharina Brunner, als die drei Gründerinnen von andererseits und unser Team, das aus Grafiker:innen und anderen Medienschaffenden besteht, können
mit unserer Initiative nicht das ganze Bildungssystem umkehren und damit die Journalismus-Ausbildung für Menschen mit Behinderung zugänglich machen. Was wir aber tun können, ist, unsere Erfahrungen und Kompetenzen als freie Journalistinnen nutzen und so Hanna, Matthias, Sebastian, Josef und viele weitere Journalist:innen dabei unterstützen, journalistisch arbeiten zu können. Darum gibt es
andererseits.

Die anderserseits-Redaktion
andererseits.org